Vereinte Kräfte für Geschlechtergleichstellung – was hält uns zurück?

Elterngeld, Ehegattensplitting, Vätermonate – die Debatte um eine moderne Familienpolitik ist im vollen Gange. Weil Daten, Fakten, Analysen und internationale Erfahrungen in einer guten Diskussion nicht fehlen dürfen, haben wir am 19. Juli 2023 in einem gemeinsamen Webinar mit dem DIW Berlin Monika Queisser (OECD), Katharina Wrohlich (DIW Berlin), Nicola Fuchs-Schündeln (Goethe Universität Frankfurt) und Lea Daling (WZL | RWTH Aachen University) zusammengebracht – alle ausgestattet mit umfassender Forschungserfahrung in verschiedenen Bereichen der Geschlechtergerechtigkeit. Ausgangspunkt war die neu erschienene OECD-Studie Joining Forces for Gender Equality – What is Holding us Back?

Einblick in die Studie Joining Forces for Gender Equality – What is holding us back?

Zwar ist die Beschäftigungsquote von Frauen in Deutschland im OECD-Vergleich relativ hoch, dennoch erkennt man im Lohnvergleich zwischen Männern und Frauen ein deutliches Gefälle, das mit 14 Prozent noch über dem OECD-Durchschnitt liegt. Woran könnte das liegen? Zum einen sind Frauen in MINT-Fächern unterrepräsentiert (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Dabei führen diese Ausbildungswege häufig zu lukrativen Berufen, die gerade in Zeiten der Digitalisierung und des Fachkräftemangels stark nachgefragt werden. Zum anderen ist in Deutschland die Teilzeitarbeit unter Frauen weit verbreitet: Etwa 35 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiten weniger als 30 Wochenstunden, 15 Prozent sogar weniger als zehn Wochenstunden. Letztlich übernehmen Frauen auch den großen Teil der Elternzeit. Zwar schafft Deutschland – wie andere Länder auch – mit Bonusmonaten Anreize für Väter, einen Teil der Elternzeit zu übernehmen, nicht wenige lassen dieses Angebot doch sogar verfallen. So sind unter den Empfängern von Elterngeld nur zirka 25 Prozent Väter. Nach der Geburt eines Kindes unterbrechen Frauen weitaus häufiger und länger ihre berufliche Laufbahn als Männer. Lange Auszeiten gefolgt von Teilzeitarbeit behindern das berufliche Fortkommen. Sie sind ein wesentlicher Faktor für das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen (siehe hierzu das Diskussionspapier von Christian Bayer und Moritz Kuhn von der Universität Bonn).

Steuern und Abgaben für Zweitverdiener senken, Kinderbetreuung ausbauen

Ehegattensplittung, Minijobs und beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern führen dazu, dass Partner, die nicht oder nur wenig arbeiten, kaum einen Anreiz haben, ihre Stunden auszuweiten. Im internationalen Vergleich ist die Belastung mit Steuern und Abgaben in Deutschland für Zweitverdiener, meist sind es Frauen, dabei besonders hoch.

Mehrere Reformvorschläge liegen vor, die Zweitverdiener entlasten, ohne insgesamt Steuern und Abgaben für Familien zu erhöhen (siehe hierzu die Forschung von DIW, Bertelsmann Stiftung und ifo Institut). Studien sowie auch die Erfahrung mit der Abschaffung des Ehegattensplittings in Schweden (siehe hierzu ein Interview mit Expert:innen der AllBright Stiftung) zeigen, dass eine Reform erhebliches Potenzial hätte, Zweitverdiener zu einer Ausweitung ihrer Arbeitsstunden zu bewegen. Außerdem könnte sie nach Ansicht der Panel-Diskutantinnen auch Normen verändern, weil sie ein Signal sende würde, was gesellschaftlich erwünscht und anerkannt ist. Darauf deuten die Erfahrungen mit dem Elterngeld hin, denn nach der Einführung sind viele Frauen schneller in den Beruf zurückgekehrt als zuvor.

Zuletzt ist aber auch der Zugang zu erschwinglicher und qualitativ hochwertiger Bildung und Betreuung unabdingbar, damit Eltern, die das wünschen, mehr arbeiten können. Das zeigen die Erfahrungen aus dem Ausland ebenso wie die Entwicklungen innerhalb Deutschlands.  

Video:

Präsentation:

Zum Weiterlesen:

Publikationen der OECD

OECD Themenseite Gender Equality

OECD Gender Data Portal

Beyond Applause? Improving Working Conditions in Long-Term Care. OECD-Studie (27. Juni 2023)

Reporting Gender Pay Gaps in OECD Countries – Guidance for Pay Transparency Implementation, Monitoring and Reform. OECD-Studie (13. Juni 2023)

Joining Forces for Gender Equality – What is Holding us Back? OECD-Studie (9. Mai 2023)

OECD Economic Surveys: Germany 2023. OECD-Studie (8. Mai 2023)

Dare to Share: Germany’s Experience Promoting Equal Partnership in Families. OECD-Studie (20. Februar 2017)

Publikationen des DIW

Bei der Gleichstellung von Frauen und Männern ist in Deutschland noch viel zu tun: Editorial DIW-Wochenbericht; No. 43 / 2017; S. 953-954; Wrohlich, K. (7. März 2023)

Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt lohnt sich für alle. Aktionsprogramm „Gleichstellung am Arbeitsmarkt. Perspektiven schaffen“ (GAPS), Stellungnahme von DIW-Präsident Marcel Fratzscher (01. Februar 2023)

Reform des Ehegattensplittings: Realsplitting mit niedrigem Übertragungsbetrag ist ein guter Kompromiss. DIW Wochenbericht 41 / 2020, S. 785-794; Bach, S.; Fischer, B.; Haan, P.; Wrohlich, K. (7. Oktober 2020)

Weiteres rund um das Thema Geschlechtergleichstellung

Frauen in MINT-Berufen. Themenseite zur Initiative des Landes Baden-Württemberg

Family Life in Japan and Germany. Challenges for a Gender-Sensitive Family Policy, Sammelband, Meier-Gräwe, U.; Motozawa, M.; Schad-Seifert, A. (Hg.); Wiesbaden: Springer VS, S. 177 – 198

Das DGB-Steuerkonzept: Beschäftigte und Familien entlasten. Themenseite des Deutschen Gewerkschaftsbundes (11. Juli 2023)

Job Levels and Wages. IZA Discussion Paper No. 16177, Bayer, C.; Kuhn, M. (31. Mai 2023)

Mehr Unternehmerinnen für den Mittelstand. Themen-Dossier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (23. Mai 2023)

Ein Mann wird schief angesehen, wenn er keine Elternzeit nimmt. Tagesspiegel-Interview mit Wiebke Ankersen und Christian Berg von der AllBright Stiftung (12. Februar 2023)

Ingenieurinnen im Maschinen- und Anlagenbau: Frauen für technische Berufe gewinnen und halten. Studie der Stiftung für den Maschinenbau, den Anlagenbau und die Informationstechnik (Februar 2023)

Themenseite Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub. Schweizer Eidgenossenschaft (Januar 2023)

Neue europaweit verbindliche Standards zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Pressemitteilung des Europäischen Kommission (2. August 2022)

Arbeitsmarkt: Endlich mehr Chancengleichheit für Frauen, bitte! Medienbeitrag; ifo Institut (11. Juli 2022)

Wo steht Deutschland 2022 bei der Gleichstellung der Geschlechter? ifo Schnelldienst Vorabdruck; Albrecht, C.; Rude, B. (7. März 2022)

Ehegattenbesteuerung in Deutschland. Studie der Bertelsmannstiftung; Becker, J. (27. Januar 2022)

#teilenstattsplitten – ein Comic über das Ehegattensplitting. Beitrag des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) (20. September 2021)

Vor- und Nachteile einer Reform des Ehegattensplittings. ifo Standpunkt Nr. 227; Fuest, C.; (3. September 2021)

Long-Term Changes in Married Couples‘ Labor Supply and Taxes: Evidence from the US and Europe since the 1980s. IZA Discussion Paper No. 11824; Bick, A.; Brüggemann, B.; Fuchs-Schündeln, N.; Paule-Paludkiewicz, H. (September 2018)

Comparable Worth – Arbeitsbewertungen als blinder Fleck in der Ursachenanalyse des Gender Pay Gaps? Artikel des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans Böckler Stiftung; No. 14; Klammer, U.; Klenner, C.; Lillemeier, S. (Juni 2018)

Taxation and Labor Supply of Married Couples across Countries: A Macroeconomic Analysis. IZA Discussion Paper No. 10504; Bick, A.; Fuchs-Schündeln, N. (Januar 2017)

Andere Beiträge zum Thema auf unserer Debattenseite

Applying a Human Rights and Gender Equality Lens to the OECD Evaluation Criteria. (1. Juni 2023)

Ankommen der Geflüchteten aus der Ukraine – Geschlechtergerechtigkeit als Erfolgsfaktor. (9. Juni 2022)

Tête-à-Tête mit Verhaltensökonomin Iris Bohnet. (13. Oktober 2021)

Frauen und Technik – zusammen stark. (17. März 2021)

Die zentrale Rolle von Frauen im Kampf gegen die Corona-Krise. (9. April 2020)