Psychische Gesundheit in der Pandemie – Junge Menschen unter Druck

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COVID-19 bringt auch eine Krise der psychischen Gesundheit mit sich. Geschlossene Bildungseinrichtungen und die damit verbundene Einsamkeit, Betriebsschließungen  in den für studentische Nebenjobs wichtigen Branchen, Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt und Zukunftsängste treffen vor allem junge Menschen hart. Datenerhebungen zeigen eine deutliche Verschlechterung ihrer psychischen Verfassung. Die Zunahme von Depressionen oder Angstzuständen ist deutlicher als unter Erwachsenen. Aber auch Frauen, insbesondere Selbstständige und Mütter, die Homeschooling und Homeoffice gleichzeitig bewältigen müssen, sind besonders stark betroffen.

Was kann ihnen helfen, die Herausforderungen zu meistern?

Darüber haben wir am 20. Mai in einem Webinar in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) diskutiert.  

Vortrag:

Christopher Prinz | OECD-Analyst

Diskussion mit:

Julia Asbrand | Juniorprofessorin und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, Humboldt-Universität Berlin
Alexander Patzina | Forschungsmitarbeiter, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 
C. Katharina Spieß | Leiterin der Abteilung Bildung und Familie, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Susanne Walitza | Professorin an der Universität Zürich und ärztliche Direktorin des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Kantons Zürich

Moderation:

Nicola Brandt | Leiterin des OECD Berlin Centre

Mitschnitt der Veranstaltung:

Kernpunkte der Diskussion:

  • Psychische Erkrankungen sind keine Randerscheinung: Jede:r Zweite hat mindestens einmal im Leben damit zu tun. Studien gehen davon aus, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung zu jedem Zeitpunkt betroffen sind.
  • Die Häufigkeit von Depressionen und Angststörungen hat im letzen Jahr enorm zugenommen. In Frankreich hat sie sich im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie sogar verdoppelt. Das zeigt eine Auswertung von Studienergebnissen durch die OECD. Junge Menschen sind besonders betroffen: Bei den 18- bis 24-Jährigen war eine Zunahme von Depressionssymptomen oder Angststörungssymptomen um bis zu 80 Prozent messbar.
  • Die Pandemie vergrößert Ungleichheiten. Während das subjektive Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen aus wohlhabenden Familien während des ersten Lockdowns oft sogar besser war als vor der Pandemie, hat es sich bei vielen Gleichaltrigen aus benachteiligten Haushalten deutlich verschlechtert. Kinder und Jugendliche, die in großen Häusern oder Wohnungen mit Garten leben und deren Eltern problemlos von Zuhause arbeiten konnten, haben den ersten Lockdown eher als verlängerte Ferien empfunden, die die Familie enger zusammengeschweißt haben. Auch erreichen Hilfs- und Informationsangebote oft nur ressourcenstarke Personen.
  • Der erhöhte Bedarf an Hilfsangeboten traf auf pandemiebedingt niedrigere Kapazitäten. Dadurch wurde aber auch deutlich, dass schon vor der Pandemie die Kapazitäten für Hilfsangebote nicht ausreichten. Erwachsene warteten mindestens vier Monate auf einen Therapieplatz, Kinder und Jugendliche mindestens sechs bis zwölf Monate. Hier besteht akuter Handlungsbedarf.
  • Digitale Angebote sind eine effektive und niedrigschwellige Ergänzung zu klassischen Hilfsangeboten. Auch über die Pandemie hinaus bieten sie die Chance, Jugendliche leichter zu erreichen und die Versorgung in ländlichen Regionen zu verbesseren. Trotzdem gibt es für die Inanspruchnahme von digitalen Hilfsangeboten Hürden, denn oft fehlt den Betroffenen die nötige technische Austattung bzw. ein Rückzugsort.
  • Wenn regulärer Unterricht wieder möglich ist, sollte Förderung bei den Kindern und Jugendlichen ansetzen, die den größten Bedarf haben. Besonders sollte der Fokus von Unterstützungsprogrammen auf benachteiligten Schüler:innen liegen. Es geht nicht darum, den Stoff in der gleichen Weise abzuarbeiten wie in normalen Jahren. Leistungsdruck ist jetzt kontraproduktiv.
  • Schule ist ein guter Ort, um Erlebtes gemeinsam aufzuarbeiten. So, wie Lehrkräfte am ersten Tag nach den Ferien nach Erlebtem fragen, sollten sie gemeinsam mit den Schüler:innen besprechen wie diese die Pandemie erlebt haben.
  • Auch in der Arbeitsvermittlung sind jetzt umfassende Angebote wichtig, die auch psychische Unterstützung umfassen, wenn Bedarf besteht.

Zum Weiterlesen:

Supporting young people’s mental health through the COVID-19 crisis. OECD-Themenpapier zur psychischen Gesundheit junger Menschen während der Covid-19 Pandemie (12. Mai 2021)

Tackling the mental health impact of the COVID-19 crisis: An integrated, whole-of-society response.  OECD-Themenpapier, das Maßnahmen für eine bessere psychiche Gesundheit skizziert (12. Mai 2021)

Kindergesundheit im ersten Corona­Lockdown: Weniger Behandlungsfälle und weniger Diagnosen von Infektionen. Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (2021)

Corona Familien Monitor. Interaktive Graphiken mit Echtzeit-Daten zurm Wohlbefinden von Familien vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit infratest dimap (2021)

Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen muss geschützt werden! Offener Brief von Psycholog:innen, Kinder- & Jugendlichenpsychotherapeut:innen und Kinder- & Jugendlichenpsychiater:innen (2021)

COPSY-Studie. Die COPSY-Längsschnittstudie untersucht die Auswirkungen und Folgen der COVID-19 Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (2021)

Zustand der Schulen nach einem Jahr Pandemie – Umfrageergebnisse aus OECD-Ländern. Aufzeichnung einer Veranstaltung des OECD Berlin Centre zu Schulschließungen während der Pandemie (15. April 2021)

„Die Entwicklung ist nicht überraschend, aber das Ausmaß schon“. Bericht des Tagesspiegels über das Webinar. (21. Mai 2021)