Welche Finanzpolitik braucht Deutschland während und nach COVID-19?

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Kurzarbeit, Überbrückungshilfen, Kreditgarantien und Konjunkturpakete. Fiskalpolitisch ist die Corona-Krise eine enorme Herausforderung. In ihrem Wirtschaftsbericht Deutschland 2020 legt die OECD dar, wo die Schwerpunkte liegen sollten, damit Deutschland erfolgreich aus der Krise hervorgeht. 

Diese Empfehlungen haben wir mit Finanzexpert*innen am 9. Dezember 2020 in einem Webinar diskutiert. 

Impulsvortrag:

Isabell Koske |stellvertretende OECD-Abteilungsleiterin für Länderstudien

Diskussion:

Clemens Fuest | Präsident des ifo Instituts

Astrid Klesse | Leiterin der Unterabteilung Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik am Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Fritzi Köhler-Geib | Chefvolkswirtin der Kreditanstalt für Wiederaufbau

Jakob von Weizsäcker | Chefökonom am Bundesministerium für Finanzen

Moderation:

Nicola Brandt | Leiterin des OECD Berlin Centre

Angesichts massiver finanzpolitischer Hilfen in der Corona-Krise fragen sich viele: Können wir uns das leisten? Wie lange können wir es uns leisten?

Für Jakob von Weizsäcker ist die Antwort klar: „Wir müssen es uns leisten und wir können es auch“. Wichtig seien dabei vor allem drei Dinge. Erstens müsse man dafür sorgen, dass Firmen mit ordentlichen Geschäftsmodellen möglichst gut durch die Krise kommen; zweitens müsse man Acht geben, dass die Nachfrage dort, wo es bereits kritisch ist, nicht deutlich einbricht; und drittens müsse man eine Politik des „Building back better“ fahren, also eine Politik, die einen Wandel einläutet und nicht einfach nach der Krise zur Vorkrisenpolitik zurückkehrt.

Aus Sicht der OECD gehören zu einer solchen zukunftsweisenden Politik für Deutschland insbesondere Investitionen in Klimaschutz und digitale Transformation. „Dafür sprechen wir uns schon lange aus“, so Isabell Koske. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung gebe hier die richtige Richtung vor, die Impulse könnten aber teils noch beschleunigt und durch weitere Anstrengungen ergänzt werden. So hinke Deutschland beispielsweise beim Breitbandausbau und der Nutzung von digitalen Anwendungen weit hinter anderen Industrienationen hinterher. Die Politik könne hier bessere Rahmenbedingungen schaffen, etwa durch vereinfachte Verwaltungsverfahren, Förderung des Wettbewerbs im Kommunikationssektor, steuerliche Anreize und Hilfen bei Later-Stage-Wagniskapital. Auch bei der Energiepolitik seien weitere Maßnahmen nötig, damit Deutschland entsprechend dem Pariser Klimaabkommen seine CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent senken kann. Die OECD empfiehlt hier unter anderem, durch stärkere und konsistentere Bepreisung von Emissionen die Kohleverstromung früher als geplant zurückzufahren, die Bepreisung von Kraftstoffen, Fahrzeugen und Straßennutzung deutlicher an Umweltschäden zu knüpfen und alternative, klimafreundliche Verkehrsoptionen zu schaffen.

Auch Fritzi Koehler-Geib sieht großen Nachholbedarf bei der Digitalisierung: „Wir sprechen immer davon, dass die Krise einen Digitalisierungsschub mit sich gebracht habe. Dieser Schub ist aber vordergründig“. Vielmehr hätten viele Unternehmen große Schwierigkeiten, in ihre digitale Entwicklung zu investieren, weil die Krise sie in eine schwierige finanzielle Lage gebracht und generell Verunsicherung ausgelöst habe. Es sei wichtig, hier mit Krediten und Zuschüssen Unterstützung zu leisten und insbesondere auch die digitale Fort- und Weiterbildung der Arbeitnehmer*innen in den Blick zu nehmen. Die finde noch viel zu selten statt, auch deshalb, weil Unternehmen nicht für die Dauer einer Fortbildung auf ihre Arbeitskräfte verzichten können oder wollen. 

Mit Blick auf kleine Unternehmen, die gerade erst aufgebaut wurden und jetzt von der Krise hart getroffen sind, habe man ein besonderes Hilfspaket von zwei Milliarden Euro speziell für Start-Ups eingerichtet, so Jakob von Weizsäcker. Über die mittelständischen Beteiligungsgesellschaften der Länder seien zudem weitere Möglichkeiten geschaffen worden, um kleine Unternehmen mit Eigenkapital auszustatten. Darüber hinaus gebe es jetzt die Entscheidung des Bundestages, einen Zukunftsfond mit 10 Milliarden Euro für Start-Ups ins Leben zu rufen.

Sind diese massiven Hilfsmaßnahmen richtig – und zielgerichtet? Clemens Fuest sagt, insgesamt war und sei es „richtig, so massive Hilfen bereitzustellen“. Angesichts der besonderen Lage sei nicht der Moment, um auf der Schuldenbremse zu bestehen. Gleichzeitig müsse man vorsichtig sein, denn nach der Krise sei auch vor der Krise. Man könnte nicht davon ausgehen, dass nach COVID jahrzehntelanges Wachstum folgt – vielmehr müsse man immer wieder mit schweren Krisen rechnen. Mit Blick auf die konkreten Maßnahmen der Regierung meint Fuest, dass es noch Verbesserungsbedarf gebe. So sei etwa die Mehrwertsteuersenkung nicht sinnvoll gewesen – von ihr hätten vor allem die Krisengewinner profitiert. Fuest schlägt vor, sie nicht zu verlängern und stattdessen andere Schritte zu gehen, etwa den steuerlichen Verlustrücktrag für Unternehmen noch stärker auszuweiten. Dies sei für den Staat wesentlich weniger kostspielig und mit Blick auf die betroffenen Unternehmen wesentlich zielgenauer.

Aus Sicht von Astrid Klesse hat die Corona-Krise die Politik an vielen Stellen vor die Entscheidung gestellt, ob vor allem schnell oder vor allem zielgenau gehandelt werden müsse. „Wir brauchen in der aktuellen Situation insbesondere eine schnelle Umsetzung“, so Klesse. Deshalb seien zwar nicht alle Maßnahmen perfekt austariert gewesen aber doch als Ganzes sehr wirksam.

Der OECD-Bericht nimmt noch einen weiteren Bereich unter die Lupe, in dem sich Deutschland für die Zukunft besser aufstellen sollte: die Infrastrukturplanung. Dem Bericht zufolge fehlt es hier nicht nur an Investitionen, sondern insbesondere an Planungskapazitäten. Astrid Klesse stimmt dem zu. Das BMWi habe kürzlich mit dem Infrastrukturatlas ein wichtiges Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das helfen kann, Infrastrukturplanung in Deutschland genauer und effizienter zu machen.

Die Präsentation von Isabell Koske: