Eindämmung von Covid-19: Welche Maßnahmen wirken?

Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19

Dieser Beitrag basiert auf dem englischen OECD Policy Brief Flattening the COVID-19 peak

Die Zahl der COVID-19-Fälle steigt rapide und dies in immer mehr Ländern. Die Politik reagiert mit mutigen Maßnahmen. Dieser Text liefert Daten zur Wirksamkeit nichtmedizinischer Vorbeugungsmaßnahmen, die während früherer Epidemien gewonnen wurden. Damit soll er den Ländern helfen, der Dringlichkeit dieser weltweiten Gesundheitsbedrohung gerecht zu werden.

Vier miteinander zusammenhängende Faktoren haben zu dem rapiden Anstieg der COVID-19-Fallzahlen beigetragen:

  1. Hohe Reproduktionszahl. Dies ist die Zahl der Ansteckungen durch eine infizierte Person. Sie liegt bei 2 bis 2,6 – einigen Schätzungen zufolge sogar bei bis zu 3,9 (für die saisonale Grippe beträgt sie Schätzungen zufolge nur 1,3).
  2. Zahlreiche asymptomatische oder leichte Fälle.
  3. Relative lange Inkubationszeit. Sofern die Infizierten Symptome zeigen, ist dies zumeist 11 oder 12 Tage nach der Ansteckung der Fall.
  4. Lange Überlebensfähigkeit des Virus auf Oberflächen. Das Coronavirus SARS-CoV-2, das für COVID-19 verantwortlich ist, kann auf Oberflächen bis zu 3 Tage (im Fall von Plastik oder Edelstahl) überleben.

Die Antworten auf neue Pandemien wie COVID-19 basieren in der Regel auf vier Säulen: 1. Überwachung und Fallerkennung, 2. klinisches Fallmanagement, 3. Verhinderung der Ausbreitung in der Bevölkerung und 4. Aufrechterhaltung der Grundversorgung. Die Maßnahmen dieser vier Säulen ergänzen und unterstützen einander und stehen in einer engen Wechselbeziehung. Maßnahmen zur Eindämmung, die auf Fallerkennung und Kontaktverfolgung basieren, setzen z. B. ausgereifte Überwachungs- und Testinfrastrukturen voraus.

Angesichts der relativ hohen Reproduktionszahl ist mit einem Ende der Epidemie zu rechnen, wenn mindestens 50-60 % der Bevölkerung gegen das Virus immun geworden sind. Im Fall einer höheren Reproduktionszahl könnte dieser Anteil bei fast 75% liegen. Würden keine Eindämmungsmaßnahmen zur Verringerung der Zahl der Infizierten ergriffen, könnte die Bevölkerung im Prinzip relativ schnell immun werden. Einer Modellstudie zufolge könnte die COVID-19-Epidemie im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten ohne Eindämmungsmaßnahmen nach 5-6 Monaten von alleine enden. Dieselbe Studie kommt aber auch zu dem Schluss, dass wegen der klinischen Merkmale des Virus und des Fehlens geeigneter Impfstoffe oder Medikamente die Kapazitäten für die intensivmedizinische Versorgung nicht ausreichen würden, um den dann zu erwartenden abrupten und massiven Anstieg der Zahl schwer erkrankter Patienten zu bewältigen. Die Folge wäre eine sehr hohe Zahl von Todesfällen.

Da es noch keine wirkungsvollen Medikamente und Impfstoffe gibt, haben Maßnahmen zur Eindämmung und Verlangsamung der Ausbreitung derzeit gesundheitspolitisch oberste Priorität, um die dramatischen gesundheitlichen Folgen von COVID-19 soweit wie möglich zu mindern:

  • Eindämmungsstrategien („Containment“) sollen das Risiko der Ansteckung noch nicht infizierter Personen durch Infizierte möglichst gering halten, um die Epidemie zu stoppen. Dies beinhaltet u. a. Maßnahmen zur frühzeitigen Erkennung der Infizierten und Rückverfolgung ihrer Kontakte sowie zur Isolierung der betroffenen Personen.
  • Verlangsamungsstrategien („Mitigation“) sollen das Tempo der Ausbreitung bremsen und die Belastungsspitze im Gesundheitssektor abflachen. Dies kann z. B. durch Maßnahmen zur sozialen Distanzierung erreicht werden, die bis zum kompletten „Lockdown“ des öffentlichen Lebens gehen können. Sehr wichtig sind auch eine verstärkte persönliche Hygiene und das Sauberhalten von Oberflächen.

Daten aus der chinesischen Provinz Hubei lassen darauf schließen, dass ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Eindämmung und Verlangsamung der Ausbreitung der Krankheit helfen kann, die Epidemie auf kurze Sicht zu stoppen. Unklar ist jedoch, ob dies auch auf längere Sicht möglich ist. Wenn die Epidemie nicht komplett gestoppt werden kann, wäre eine Option, diese Maßnahmen so lange beizubehalten, bis ein Impfstoff oder ein wirksames Medikament zur Verfügung steht. Andernfalls würde die Zahl der Infizierten wieder steigen, sobald die Maßnahmen gelockert werden. Eine Alternative, um die negativen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen strenger Maßnahmen der sozialen Distanzierung abzumindern, bestünde darin, zwischen Phasen mit strengen Maßnahmen und Phasen mit teilweise gelockerten Maßnahmen zu alternieren.

Ohne strenge Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Verlangsamung der Ausbreitung werden die Gesundheitssysteme die hohen Patientenzahlen nicht bewältigen können. Etwa jeder fünfte Infizierte entwickelt schwere Symptome, die u. U. eine intensivmedizinische Versorgung erforderlich machen. Eine der größten Herausforderungen, vor die COVID-19 uns stellt, ist die Überlastung der Gesundheitssysteme. Besonders kritisch ist dabei die unzureichende Zahl an Beatmungsgeräten und Betten in den Intensivstationen. Strenge Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Verlangsamung der Ausbreitung sind nötig, um den Gipfel der COVID-19-Fallzahlen abzuflachen und so die gewaltige Belastung für die Gesundheitssysteme weitestmöglich zu verringern.

Die Ergebnisse der Modellstudien sind eindeutig: Umfassende Maßnahmenpakete zur Eindämmung und Verlangsamung der Ausbreitung sind wirkungsvoller als Einzelmaßnahmen, um die Auswirkungen einer Epidemie zu verringern. Mit Unterschieden je nach Methode oder betrachtetem Maßnahmenpaket kommen die Studien im Allgemeinen zu dem Schluss, dass umfassende Maßnahmenpakete die attack rate („Angriffsrate“), d. h. den Anteil der Personen an der Gesamtbevölkerung, die erkranken, um mindestens 40 % reduzieren können.

Voraussetzung für die Wirksamkeit der Eindämmungs- und Verlangsamungsmaßnahmen ist, dass sowohl die Zahl als auch die Dauer der sozialen Kontakte reduziert wird. Informationen über die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen sind weniger relevant, wenn eine Krankheit unter Kontrolle gebracht werden muss und alle verfügbaren Maßnahmen ergriffen werden sollten. Sie können aber sehr nützlich sein, um zu entscheiden, welche Maßnahmen gelockert werden können, sobald die Krankheit unter Kontrolle ist. Die derzeit vorliegenden Daten, die auf Modellstudien, Studien über frühere Epidemieausbrüche und ausgewählten Fallstudien basieren, lassen darauf schließen, dass die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen von folgenden Faktoren abhängt:

  • Soziale Distanzierung am Arbeitsplatz ist die wirksamste Maßnahme, um sowohl die Infektionsrate zu reduzieren als auch den Höhepunkt der Ausbreitung zu verzögern. Maßnahmen wie Homeoffice und die Schließung von Arbeitsstätten können die Infektionsrate der Krankheit um 23-73 % reduzieren, wobei die Werte bei hochinfektiösen Krankheiten und schlechter Einhaltung der Verhaltensregeln niedriger sind. Diese Maßnahmen sind allerdings mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen verbunden.
  • Schulschließungen können die Übertragung, d. h. die Reproduktionszahl, um 7-15 % und die Infektionsrate am Höhepunkt der Ausbreitung um rd. 40 % reduzieren. Diese Maßnahme ist bei Infektionen mit einer begrenzten Ausbreitungsrate am wirksamsten, wenn sie in der Frühphase eines Ausbruchs ergriffen wird und wenn die Infektionsraten bei Kindern höher sind als bei Erwachsenen. Einige dieser Bedingungen treffen jedoch bei COVID-19 nicht zu. Schulschließungen haben erhebliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Die vorliegenden Daten zeigen, dass 16-45 % der Eltern Urlaub nehmen müssten, um ihre Kinder zu Hause zu betreuen, dass 16-18 % der Eltern Einkommenseinbußen hätten und dass rd. 20 % der Haushalte Schwierigkeiten hätten, die Kinderbetreuung zu organisieren.
  • Ein Verbot von Großveranstaltungen wirkt sich deutlich weniger auf den Anteil der infizierten Bevölkerung aus als viele andere Formen der sozialen Distanzierung. Das liegt daran, dass die Kontaktzeit tendenziell kürzer ist als bei anderen Formen sozialer Interaktion, wie sie beispielsweise am Arbeitsplatz oder in der Schule auftreten. Diese Maßnahme trägt jedoch dazu bei, die Zahl der erkrankten Menschen zu reduzieren, insbesondere wenn sie zusammen mit anderen Maßnahmen durchgeführt wird.
  • Soziale Distanzierung ist mit mehreren Herausforderungen verbunden. Zu den wichtigsten Beispielen gehören der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit und der sozialen Interaktion, die Vernachlässigung gefährdeter Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise älterer Menschen sowie psychische Störungen wie akute Belastungsstörung, Angstzustände und Schlaflosigkeit.
  • Eine systematische Studie kam zu dem Schluss, dass Reisebeschränkungen den Ausbruch von Grippepandemien verzögern, aber nicht verhindern, z. B. um 3-4 Wochen, wenn 90 % des Flugverkehrs in den betroffenen Ländern eingestellt werden, oder um 2 Monate, wenn strengere Maßnahmen ergriffen werden.
  • Häusliche Quarantäne kann die wirksamste Maßnahme sein, um die Infektionsraten in der Bevölkerung zu reduzieren, aber nur bei guter Einhaltung der Verhaltensregeln. Freiwillige Quarantäne infizierter Personen ist nur begrenzt wirksam, weil die Vorschriften weniger streng eingehalten werden. Die freiwillige Quarantäne von Haushalten mit einer infizierten Person kann beispielsweise den Höhepunkt der Grippe um 2-26 Tage verzögern und den Spitzenwert der täglichen Infektionsrate um mindestens 30 % reduzieren. Modellrechnungen lassen darauf schließen, dass rd. 70 % der COVID-19-Fälle erkannt und unter Quarantäne gestellt werden müssen, um die Epidemie erfolgreich eindämmen zu können.
  • Effektive Kommunikation ist von entscheidender Bedeutung. Sie muss einerseits Panik vermeiden, andererseits jedoch überzeugend zu Verhaltensänderungen aufrufen. Bei Epidemieausbrüchen kann es für die Behörden wichtiger sein, die Öffentlichkeit vom Ernst der Lage zu überzeugen als sie zu beruhigen. In einer Studie über die öffentliche Wahrnehmung von Grippewellen im Vereinigten Königreich wurde beispielsweise festgestellt, dass nur wenige Menschen ihr Verhalten änderten, weil sie glaubten, dass der Krankheitsausbruch – und seine Folgen – übertrieben dargestellt worden waren.

Persönliche Hygiene reduziert nachweislich das Risiko, infiziert zu werden. Während des SARS-Ausbruchs in Hongkong (China) 2002-2004 hatten die infizierten Personen mit geringerer Wahrscheinlichkeit in der Öffentlichkeit regelmäßig eine Maske getragen oder die Hände mindestens elfmal pro Tag gewaschen. Eine Studie während des Ausbruchs der A-Influenza (H1N1) von 2009 ergab, dass die Zahl grippeähnlicher Krankheitsfälle um 35-51% zurückging, wenn die Menschen Masken trugen und die Verhaltensregeln in Bezug auf Handhygiene und Husten einhielten. In einer Metaanalyse wurde festgestellt, dass eine Kombination aus Atemschutzmaske und Handhygiene das Risiko einer Grippeinfektion um 27% reduzierte.

Zum Weiterlesen:

Tackling coronavirus (COVID-19). Zentrale OECD-Seite mit Informationen zu den Auswirkungen der Covid-19-Epidemie auf verschiedenste Bereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.