Von Tracey Burns
Ursprünglich auf Englisch erschienen in Education and Skills Today.
Die zunehmende Verflechtung unserer Welt gilt auch für die Risiken, mit denen wir konfrontiert sind.
Die Bildungssysteme reagieren weltweit auf die COVID-19-Pandemie. Die Daten von heute zeigen, dass weltweit 138 Länder alle Schulen geschlossen haben, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Damit kann fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler weltweit wegen der Pandemie nicht zur Schule gehen. Weitere Länder haben die Schulen in bestimmten Städten und Regionen geschlossen. Werden auch hier die Schließungen aufs ganze Land ausgeweitet, sind Millionen weitere Kinder und Jugendliche betroffen. Die Zahlen ändern sich täglich.
In der OECD sind wir es gewohnt, den Blick auf unsere Mitgliedsländer zu richten. Aber ein Virus hat keinen Pass. Der globale Charakter einer Pandemie erfordert eine koordinierte internationale Antwort. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, von den Initiativen anderer Bildungssysteme weltweit zu lernen und uns davon inspirieren zu lassen.
Wir können effektiver reagieren, wenn wir die Erfahrungen der Länder nutzen, die zuerst mit der Gefahr konfrontiert waren. Gemeinsam mit anderen zwischenstaatlichen Organisationen arbeitet die OECD daran, dieses Wissen wirksam zu mobilisieren und zu teilen.
Wenn Schulen offen bleiben
Schulen können den Schülerinnen und Schülern bestimmte Verhaltensregeln vermitteln, z. B. dass sie ihr Gesicht nicht berühren sollten. Die Schülerinnen und Schüler können dann ihr Wissen über gesunde Verhaltensweisen an andere weitergeben. Das ist besonders wichtig, weil Kinder wirksame Hygienepraktiken wie Händewaschen generell weniger einhalten. Deshalb ist bei ihnen das Risiko größer, das Virus durch soziale Kontakte zu übertragen.
Der Internationale Verband des Roten Kreuzes, UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben vor Kurzem einen praktischen Leitfaden über die Prävention und Kontrolle von COVID-19 in Schulen veröffentlicht. Er enthält wichtige Informationen für Schulleitungen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und Gemeinwesen über die Gewährleistung der Sicherheit in den Schulen – vom Vorschulbereich bis zum Sekundarbereich II. Der in leicht verständlicher Sprache verfasste Leitfaden enthält praktische Checklisten, die für die Erstellung und Umsetzung von Aktionsplänen genutzt werden können.
Wenn Schulen geschlossen werden
Für die wachsende Zahl von Ländern, die ihre Schulen geschlossen haben, verfolgt die OECD die Entwicklung innovativer technologischer Lösungen für hochwertiges Lehren und Lernen. Frankreich hat beispielsweise die digitale Plattform Ma classe à la maison (mein Klassenzimmer zu Hause) eingerichtet. Die Schülerinnen und Schüler, deren Schulen geschlossen sind, haben über Computer, Tablet oder Handy Zugriff auf ein individuelles Konto mit vierwöchigen Kursen, basierend auf geprüftem Unterrichtsmaterial.
In Japan gibt eine Plattform einen Überblick über digitale Lernmöglichkeiten, die Privatunternehmen Schülerinnen und Schülern, die zu Hause bleiben müssen, kostenlos zur Verfügung stellen. In vielen Ländern werden zunehmend öffentlich-private Partnerschaften gegründet, u. a. mit den nationalen Telekommunikationsanbietern, um einen kostenlosen Zugang zu Breitbandnetzen für Bildungszwecke zu ermöglichen. Darüber hinaus arbeiten die großen Plattformen wie Google und Microsoft an einem erweiterten Angebot digitaler Werkzeuge für Bildung und Arbeit.
Angesichts der zunehmenden Schulschließungen müssen die am stärksten gefährdeten Gruppen besonders unterstützt werden – nicht nur physisch, sondern auch schulisch und psychologisch.
Kurzfristig geht es darum, bereits vorhandene Strukturen stärker zu nutzen, statt völlig neue Dienstleistungen einzurichten. Mittelfristig wird die Weiterentwicklung der Maßnahmen viele Innovationen hervorbringen. Besonders erfreulich ist dabei, dass auch völlig neue Arbeitsmethoden entstehen, mit denen nicht bloß physische Schulen durch digitale Strukturen ersetzt werden.
Zwei wichtige Erkenntnisse
Auf unserem Weg durch diese unsichere Zeit sind wir mit zwei Tatsachen konfrontiert:
1. Schulschließungen werden in vielen Ländern weiter notwendig sein und es ist ermutigend, dass viele technologische Lösungen auch außerhalb der Schule hochwertiges Lehren und Lernen ermöglichen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Schulschließungen weitreichende Folgen haben – nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für die Allgemeinheit. Dazu gehören Stress und Angstzustände, gegebenenfalls auch eine schlechtere Ernährung für jene, die auf Schulspeisungen angewiesen sind, sowie Produktivitätseinbußen, weil Einzelpersonen und Familien sich zu Hause in Isolation begeben müssen.
2. Alle Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, eine Vertiefung der Bildungsungleichheit und der sozialen Ungleichheit zu verhindern. Da die Bildungssysteme massiv zu E-Learning übergehen, wirkt sich die digitale Kluft bei der Internetanbindung, dem Zugang zu Geräten und dem Kompetenzniveau verstärkt aus. In begünstigten Familien haben die Eltern beispielsweise mit höherer Wahrscheinlichkeit bessere digitale Kompetenzen und können ihre Kinder beim Lernen unterstützen. Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Familien fehlt diese Unterstützung häufig und sie laufen Gefahr, weiter zurückzufallen. Wir müssen die am stärksten gefährdeten Gruppen in dieser Zeit besonders unterstützen – nicht nur physisch, sondern auch schulisch und psychologisch.
Die derzeitige Krise entspricht einem der potenziellen Schocks, die Zukunftsforscher schon lange vorhergesagt haben. Demnächst werden wir zurückblicken und darüber nachdenken, was wir aus der Erfahrung lernen und in Zukunft besser machen können. Kurzfristig müssen wir alle zusammenarbeiten, um die Gesundheit und Sicherheit unserer Kinder, der Schulen und der gesamten Bevölkerung zu gewährleisten.
Über die Autorin:
Tracey Burns ist leitende Analystin in der OECD-Bildungsabteilung in Paris.
Zum Weiterlesen:
Coronavirus (COVID-19): Globales Handeln in einer globalen Krise, Kommentar von OECD-Generalsekretär Angel Gurría