Von Anti-Diskriminierung zu mehr Arbeitsmarkt-Vielfalt: Wo steht Deutschland im Wahljahr 2021?

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Jeder sechste junge Mensch mit eingewanderten Eltern in Deutschland fühlt sich wegen seiner Herkunft, Kultur oder Hautfarbe benachteiligt. Diskriminierung, das zeigen Studien deutlich, behindert die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft und hat darüber hinaus weitreichende Folgen.

Wo steht Deutschland in Punkto Antidiskriminierung und Arbeitsmarktintegration? Wo gibt es Nachholbedarf? Das haben wir am 3. Februar 2021 auf Basis der OECD-Studie „All Hands In – Making Diversity Work for All“ sowie des Berichts „Gemeinsam die Einwanderungsgesellschaft gestalten“ der Fachkommission Integrationsfähigkeit der Bundesregierung diskutiert.

Impulsvortrag:

Thomas Liebig | Migrationsexperte der OECD

Kommentar:

Hacı-Halil Uslucan | Professor für Moderne Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen.

Diskussion mit:

Karamba Diaby | SPD-Politiker und Bundestagsabgeordneter

Serap Güler | CDU-Politikerin und Staatssekretärin für Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Bernhard Franke | Kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Moderation:

Nicola Brandt | Leiterin des OECD Berlin Centre


„Deutschland hat sich in den letzten fünfzehn Jahren bei vielen Integrationsfaktoren deutlich verbessert“, so OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig. Die Beschäftigungsquote von Migrantinnen und Migranten sei gestiegen, die Bildungsfortschritte von Kindern aus Migrantenfamilien hätten zugenommen. Allerdings, so Liebig, stünden diese Erfolge im Kontext der eher schlechten Ausgangslage zu Beginn des Jahrtausends.  

Dass Eingewanderte und ihre Nachkommen in Schule, Ausbildung und Arbeitsmarkt weiterhin stark benachteiligt sind, liegt Liebig zufolge an vielen Faktoren. Zu den wichtigsten gehören fehlende Netzwerke, fehlendes Wissen über nationale Strukturen und den Arbeitsmarkt, sowie Diskriminierung.

Bei der Diskriminierung sei zwischen objektiver und subjektiver Diskriminierung zu unterscheiden. Zur objektiven Diskriminierung gehört beispielsweise, dass Menschen mit ausländischem Namen oder Aussehen nachweislich bei Stellenbesetzungen benachteiligt werden. Es gibt zahlreiche Studien, bei denen ansonsten gleichwertige Bewerbungen mal mit ausländisch klingendem Namen und mal mit deutsch klingendem Namen versehen wurden. Auch wurden inhaltlich gleichwertige Lebensläufe mit unterschiedlichen Fotos versehen: Mal trug die Bewerberin mit türkisch klingendem Namen ein Kopftuch, mal nicht. Solche Vergleichsstudien zeigen: Ausländische Namen und kulturell fremd wirkende Elemente wie Kopftücher senken bei gleicher Qualifikation die Wahrscheinlichkeit erheblich, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.

Von der objektiven – also tatsächlichen – Diskriminierung zu unterscheiden ist die subjektive Diskriminierung, also das Gefühl, nicht gleichberechtigt behandelt zu werden. Ein solches Gefühl kann schon früh den Lebensweg eines Menschen prägen. „Wenn beispielsweise ein Kind im Schulkontext den Eindruck hat, nicht dazuzugehören, wirkt sich das auf seinen Bildungserfolg aus“, so Integrationsforscher Hacı-Halil Uslucan. Diskriminierung, ob tatsächlich vorhanden oder nur empfunden, beeinflusse das Selbstwertgefühl der Betroffenen, hemme ihre Teilnahmebereitschaft und untergrabe ihren Integrationserfolg. Sie sei damit ein großes gesellschaftliches Problem, das nebenbei auch hohe volkswirtschaftliche Kosten verursache.

Wo liegen mögliche Lösungen?  

Für Bernhard Franke sind anonymisierte Bewerbungsverfahren ein Schritt in die richtige Richtung. Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes befürworte man grundsätzlich den Einsatz solcher Verfahren, „denn sie verhindern auf der ersten Stufe des Bewerbungsverfahrens, dass persönliche Präferenzen von Personalentscheidern eine Rolle spielen“. In der öffentlichen Verwaltung könnten sie deshalb als einer von mehreren Bausteinen für mehr Vielfalt sorgen.

NRW-Staatssekretärin für Integration Serap Güler hingegen befürchtet, dass anonymisierte Bewerbungsverfahren ein negatives Signal aussenden: „Wer eingeladen werden will, muss sein Geschlecht, seine Herkunft, seine Behinderung“ und anderes, was ihn auszeichnet, „verstecken“. Ihre Verwaltung setze daher auf diskriminierungsfreie Bewerbungsverfahren, die ohne Anonymisierung aber nach einem normierten Ablauf verfahren. Zusätzlich organisiere Nordrhein-Westfalen Kampagnen, um gezielt Menschen mit eingewanderten Eltern anzusprechen und sie für den öffentlichen Dienst zu interessieren. Außerdem habe man erst kürzlich das Budget für Diversitäts-Trainings an den Landesakademien erhöht.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby, der selbst in der Vergangenheit als Diversitäts-Trainer gearbeitet hat, hält diese für sinnvoll. Wichtig sei aber, dass die Teilnehmenden das Trainingsangebot „nicht als Unterstellung empfinden, sie würden ihre Arbeit nicht gut machen“. Auch dürften solche Trainings nicht in Unternehmen als Alibi verwendet werden, nach dem Motto: Wir sind ja nun zu Diversitätsthemen fortgebildet, bei uns ist Diskriminierung nun kein Thema mehr. Zudem plädiert Diaby dafür, dass alle Bundesländer eigene Antidiskriminierungsstellen einrichten, die die zentrale Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergänzen.

Für Hacı-Halil Uslucan ist klar: Es braucht einerseits persuasive Maßnahmen wie Kampagnen und Fortbildungen, aber andererseits auch regulative Maßnahmen, etwa in Form von Antidiskriminierungsgesetzen und gezielter Fördermittelverteilung für Einrichtungen, die sich für mehr Vielfalt und Chancengleichheit einsetzen. Und: „Der Staat muss die Öffnung hin zu mehr Vielfalt beispielhaft vorleben“.  

Thomas Liebig bringt dafür ein Beispiel aus der öffentlichen Verwaltung: „In den skandinavischen Ländern arbeitet man nicht mit Quoten, aber mit konkreten Zielgrößen, um den Anteil von unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen bei Neuanstellungen im öffentlichen Dienst zu erhöhen.“ Solche „intelligente Zielvorgaben“ hätten sich in der Vergangenheit als recht erfolgreich erwiesen.  

Einigkeit besteht unter den Diskutanten auch darüber, dass Strategien für mehr Chancengleichheit stärker als bisher im Bereich der frühkindlichen Bildung und Schulbildung ansetzen müssten. Aus dem Publikum meldet sich Elina Stock von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zu Wort: „Um unser Bildungssystem besser auf die Migrationsgesellschaft auszurichten, brauchen wir in allen Phasen der Ausbildung für alle Fachkräfte eine stärkere Sensibilisierung für das Thema“. Auch müsse Mehrsprachigkeit als großes Plus anerkannt und entsprechend gefördert werden.

Das unterstreicht auch Hacı-Halil Uslucan: „Wir wissen, dass zweisprachige Kinder auch eine dritte Sprache leichter lernen“. Mangelnde Offenheit geht seiner Ansicht nach häufig auf mangelndes Wissen über andere Länder und Kulturen zurück. Mehr Investitionen in die politische Bildung würden helfen, weit verbreitete Stereotype abzubauen.

Serap Güler und Karamba Diaby fügen hinzu, dass es nicht nur bei der bildungspolitischen Förderung von Kindern aus Migrantenfamilien großen Nachholbedarf gibt, sondern in der deutschen Bildungspolitik insgesamt. Sozioökonomische Faktoren spielen Serap Güler zufolge häufig eine größere Rolle als die Benachteiligung beispielsweise durch einen anderssprachlichen Hintergrund. „Die Corona-Krise hat uns deutlich vor Augen geführt, dass unser Nachholbedarf im Bereich der Bildung riesengroß ist“, so Karamba Diaby. Zu seinen wichtigsten Forderungen gehört, die Ganztagsbetreuung auszuweiten und für mehr Bildungskooperation zwischen Bund und Ländern zu sorgen, um so bildungspolitische Reformen deutschlandweit voranzutreiben.

Mitschnitt der Veranstaltung:

Präsentation von Thomas Liebig:

PDF der Präsentation zum Download.

Zum Weiterlesen:

Gemeinsam die Einwanderungsgesellschaft gestalten. Bericht der Fachkommission der Bundesregierung zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit (Januar 2021)

All Hands In? Making Diversity Work for All. Vollständige OECD-Studie (September 2020)

Vielfalt in Gesellschaft und Arbeitsmarkt: Wie wir alle von ihr profitieren. Webinar zur OECD-Studie All Hands In? Making Diversity Work for All (September 2020)

Diversity at Work: Making the Most out of Increasingly Diverse Societies. OECD Policy Brief (September 2020)