Schule als Bildungshub: Ein Szenario für Schulentwicklung und Lernen

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Wie wird die Schule von morgen aussehen? Spätestens mit der Coronakrise ist klar, dass sich Schule in den kommenden Jahren deutlich verändern wird. Sei es durch den Schock einer Pandemie, Digitalisierung oder durch die veränderten Ansprüche von Wirtschaft und Gesellschaft. Auf Basis der aktuellen OECD-Studie „Zurück in die Zukunft der Bildung – Vier OECD-Szenarien für die Schule“ haben wir am 25. November 2020 im Rahmen eines Webinars diese Fragen diskutiert und ein mögliches Szenario genauer unter die Lupe genommen: Schule als Bildungshub. Diese Veranstaltung wurde von der Robert Bosch Stiftung gefördert.

Impulsvortrag:

Andreas Schleicher | OECD-Bildungsdirektor

Diskussion:

Nina Bremm | Professorin für Schulentwicklung an der Pädagogischen Hochschule Zürich

Nicole Schäfer | Schulleiterin an der Franz Leuninger Schule in Mengerskirchen

Miriam Vock | Professorin für Empirische Unterrichts- und Interventionsforschung an der Universität Potsdam

Moderation:

Kristin Narr | Medienpädagogin

Graphic Recording:

Julia Kluge

Was passiert? Schule gewinnt an Bedeutung! Denn die verschiedenen Lebensbereiche zwischen Schule und Gesellschaft vernetzen sich immer mehr. „Das sehen wir heute schon in vielen erfolgreichen Bildungssystemen wie beispielsweise Estland, Finnland oder Japan. Da werden Schulen zu Zentren der Gemeinden“, erklärt Andreas Schleicher. Eltern haben vielfältige Möglichkeiten mitzuwirken und Kinder lernen weniger im Klassenraum, sondern mehr und mehr auch in anderen Lernumgebungen.

© Julia Kluge
© Julia Kluge

Grundsätzlich wird Lernen individueller, standardisierte Prozesse nehmen ab und Lehrkräfte werden zu Gestaltern von Bildung. Schulen öffnen sich in den sozialen Raum. Doch damit wachsen auch die Anforderungen an die Lehrkräfte – denn sie werden zur Schnittstelle zwischen der Schule und vielen anderen Lebensbereichen. Künftig müssen sie nicht nur gut unterrichten, sondern auch Aufgaben eines Mentors, Sozialarbeiters oder Coaches übernehmen. Schulen sind dann nicht mehr nur Bildungsdienstleister, sie gestalten auch die Gesellschaft mit.

Mitschnitt der gesamten Veranstaltung


Diese stärkere Individualisierung des Lernens führt lokal zu sehr unterschiedlichen Entwicklungen. Das funktioniert nur, wenn Schulen viele Entscheidungen selber fällen können. Die Niederlande etwa zeigen, was hier möglich ist: Dort werden über 90 Prozent der Entscheidungen – von der Verteilung und Verwaltung der Ressourcen über die Neugestaltung von Unterrichtskonzepten bis hin zur Einstellung von Lehrkräften – an den Schulen selber getroffen. In Deutschland sind es dagegen nur 17 Prozent dieser Entscheidungen, die in der Schule getroffen werden. „Vergleicht man international die Bildungsleistung, haben leistungsstarke Systeme meistens deutlich mehr Verantwortung und Gestaltungsfreiräume vor Ort, als es in Deutschland gegenwärtig der Fall ist. Dieser Gestaltungsspielraum ist Voraussetzung für Schule als Bildungshub“, so Schleicher. „Unser gegenwärtiges Bildungssystem ist sehr vertikal strukturiert. Szenario 3 setzt viel stärkere horizontale Strukturen voraus.“

Präsentation von Andreas Schleicher

In horizontalen Netzwerkstrukturen sieht auch Nina Bremm großes Potenzial. Es müsse aber Konsens darüber geben, was die Ziele und Standards sind und wie Leistungen gemessen werden. „Nur wenn Lernziele, -inhalte und Strategien aufeinander abgestimmt sind, kann die Lernleistung von Kindern gefördert werden“, so Bremm. Dass Neudenken von Lernsettings, Mindeststandards sowie deren Messung, bei denen nicht die Testfähigkeit, sondern die Leistungen und Kompetenzen, die erbracht wurden, im Vordergrund stehen, kann besonders bei benachteiligten Kindern dazu führen, dass die Motivation und nicht das Scheitern im Vordergrund steht.

© Julia Kluge
© Julia Kluge

Die Franz Leuninger Schule in Mengerskirchen, an der Nicole Schäfer Schulleiterin ist, hat mit einem Schulmodell, das einem Bildungshub nahe kommt, positive Erfahrungen gemacht. Zum einen sind die Lehrkräfte zufriedener, zum anderen können Schülerinnen und Schüler ihre Potenziale und Ressourcen deutlich besser entwickeln. Als Herausforderung sieht sie die alltäglichen Aufgaben, die in den Schulen zu bewältigen sind und auf die Lehrkräfte in der Hochschulausbildung nur teilweise vorbereitet werden. „Schulen sind tagtäglich mit Alltagsproblemen konfrontiert. Dadurch sind viele Kolleginnen und Kollegen so gefordert und gestresst, dass sie keine Ressourcen mehr in Schulentwicklung stecken können. Dadurch geht unheimlich viel Potenzial verloren.“ Für die Zukunft wünscht sich Frau Schäfer, dass „sich die Politik weiter mit Szenario 3 beschäftigt und Strukturen schafft, die Schulen, Schulleiter und Lehrerinnen und Lehrer hier unterstützen.“ Momentan gebe es noch eine zu starke Abhängigkeit von den Akteuren vor Ort.

Positive Effekte einer Herangehensweise wie in Szenario 3 sind empirisch beispielsweise bei Ganztagsschulen belegbar, ergänzt Miriam Vock. Dabei ist das Öffnen von und die Vielfalt in den Schulen kein Selbstzweck, sondern funktioniert nur, wenn überlegt wird: Was sind die Bildungsziele? Wie können sie erreicht werden? Und wie kann Bildungsqualität flächendeckend gesichert werden? Grundsätzlich sieht Vock in der Ausbildung der Lehrkräfte in Deutschland eine gute Grundlage, um diese Herausforderungen zu meistern. Allerdings müssen auch hier noch zusätzliche Kompetenzen entwickelt werden. So gehe es in Zukunft darum, Lehrerinnen und Lehrer viel stärker auf die Arbeit im Team vorzubereiten und besser mit anderen Schulen und Akteuren zu kooperieren. Außerdem werden in flexibleren und individuelleren Lernsettings diagnostische Kompetenzen immer wichtiger. Damit Lehrkräfte das Rad nicht jeden Tag aufs Neue erfinden müssen, sollten Hochschulen hier unterstützen und evidenzbasierte Methoden und Programme entwickeln, die dann an den Schulen vor Ort angepasst und umgesetzt werden können.

Alle Zeichnungen von Illustratorin und Grafikdesignerin Julia Kluge:

Weitere Studien zum Thema

OECD-Projekt „Future of Education and Skills 2030“ – Im 21. Jahrhundert verändern sich Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Werte, die Schülerinnen und Schüler brauchen.

What Students Learn Matters – Studie zu Lehrplaninhalten und wie Bildung in Zukunft gestaltet werden kann (November 2020)

Global Teaching InSights – Studie zu Lehrpraktiken und wie sich diese auf die Lernergebnisse von Schülerinnen und Schülern auswirken (November 2020)

Sonderauswertung PISA 2018 – Ergebnisse der PISA-Befragung zu globalen Kompetenzen und ihrem Umgang mit einer vernetzen Welt. (Oktober 2020)

Bildung auf einen Blick 2020: OECD-Indikatoren – Jährlicher Vergleich von Bildungssystemen, Bildungsausgaben und Bildungserfolgen in den OECD-Mitglieds- und -Partnerländern. (September 2020)

Trends Shaping Education 2019 – Wie verändert sich Bildung im 21 Jahrhundert? Buch zum Einfluss von Wirtschaft, Politik sowie sozialen und technologischen Trends, die Bildung beeinflussen. (Januar 2019)