Kein Urlaub vom Virus: Wohin steuert der Tourismus?

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Grenzen zu. Hotelübernachtungen und Restaurantbesuche verboten. Reisen beschränkt. Die Eindämmungsmaßnahmen in der ersten akuten Pandemie-Phase haben den Tourismus in Europa in eine bespiellose Krise gestürzt. Pünktlich zu den Sommerferien lockern Regierungen in OECD-Ländern die Beschränkungen vorsichtig. Urlaub am Mittelmeer und in den Bergen ist wieder möglich. Doch wie wird die Branche ihr annus horribilis überstehen? Behindert oder beschleunigt die Krise die Reise zu einem nachhaltigeren Tourismus? Auf Basis von OECD-Analysen haben wir am 23. Juni 2020 mit Expertinnen und Experten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland diskutiert.

Präsentation: 
Ueli Grob | stellv. Leiter Ressort Tourismuspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Schweiz 

Im Anschluss diskutierten:
Martha Schultz | Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und Geschäftsführerin der Schultz Gruppe

 Marek Andryszak | Vorsitzender der Geschäftsführung, TUI Deutschland 

Moderation: Nicola Brandt | OECD Berlin Centre

Ueli Grob vom Staatssekretariat für Wirtschaft in der Schweiz (SECO) stellte OECD-Prognosen für den Sektor und Praxis-Beispiele für Politikantworten auf die Krise vor. Auch bei einer Erholung ab Juli könnte der internationale Tourismus in diesem Jahr um 60% einbrechen. Neben kurzfristigen Überbrückungsmaßnahmen für die akute Eindämmungsphase, wie Kurzarbeit und Kreditgarantien, haben viele OECD-Länder größere Investitionsprogramme aufgelegt, um die Attraktivität ihrer Tourismusbranche zu steigern, darunter Island und Japan. Neuseeland hat ein Programm gestartet, um die Tourismusstrategie des Landes grundsätzlich neu zu überdenken.

Auch der Tourismussektor in der Schweiz ist von der Krise hart getroffen. Aktuelle Prognosen gehen von einem Rückgang der Hotelübernachtungen in diesem Jahr auf das Niveau der frühen 60er Jahre aus. Eine Erholung auf das Vorkrisenniveau wird nicht vor 2022 erwartet. Die Schweiz bemüht sich unter anderem mit einer umfassenden Image-Kampagne und einem Sicherheitslabel, das Vertrauen der Urlauberinnen und Urlauber wieder zu gewinnen und die Attraktivität ihrer Urlaubsziele zu steigern.

 

Kein Urlaub vom Virus: Wohin steuert der Tourismus? von OECD Berlin Centre

In Österreich trägt der Tourismus mehr als 15% zum Bruttoinlandsprodukt bei, wenn man die Wirkungen auf Restaurants, Freizeit- und Kulturveranstaltungen mit einrechnet. Das erklärte Martha Schultz, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich und Geschäftsführerin der Schultz Gruppe, die in Tirol unter anderem Seilbahnen, Hotels und Gaststätten betreibt. Da mittelständische Unternehmen im österreichischen Tourismus eher klein und oft nur mit dünner Kapitaldecke ausgestattet sind, wäre für viele das plötzliche Ende der Ski-Saison im März ohne die umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen, wie Kreditgarantien und Kurzarbeit, nicht zu verkraften gewesen. Die vorsichtigen Lockerungen und die Grenzöffnung machten Hoffnung, aber es herrscht Martha Schultz zufolge nach wie vor viel Unsicherheit. Oft wüssten Tourismusbetriebe bis eine Woche vor Lockerung nicht, welche Bereiche ihrer Hotels oder Gaststättenbetriebe sie wieder öffnen dürfen und wie sie Hygienemaßnahmen umsetzen sollen. Geschäftsreisen und Konferenz- und Veranstaltungstourismus werden ihrer Meinung noch lange auf die Wiederaufnahme des Normalbetriebs warten müssen. Kleine und mittlere Tourismusbetriebe in Österreich rechnen nach einer Umfrage der Wirtschaftskammer in diesem Sommer mit Umsatzeinbußen von 50-75%. Auch im kommenden Winter erwarten sie 20-40% Umsatzrückgang.

Für Marek Andryszak, Geschäftsführer TUI Deutschland, bringt die Pandemie vor allem große Umwälzungen für sein Unternehmen mit sich. Nach den plötzlichen und umfassenden Schließungen von Urlaubszielen und Rückholungen von Urlaubern, müssen Reiseunternehmen jetzt die Wiederöffnung managen. In vielerlei Hinsicht sei das komplexer als die Schließung. Weit mehr als 80% des Geschäfts von TUI hängt von Auslandsreisen ab, häufig verbunden mit Flügen. Aktuell fokussiert das Unternehmen verstärkt auf Inlandstourismus, da viele deutsche Urlauber von Auslandsreisen Abstand nehmen wollen. Anstatt wie sonst in erster Linie das Unternehmensergebnis im Blick zu haben, geht es Reiseunternehmen aktuell vor allem darum, die Liquidität und damit das betriebliche Überleben zu sichern. Interne Prozesse, zum Beispiel das Stornieren von Reisen, haben in der Pandemie stark an Bedeutung gewonnen und auch TUI dazu gezwungen, die Digitalisierung interner Unternehmensprozesse zu beschleunigen.

Alle drei Diskutanten waren sich einig, dass die Pandemie auch im Tourismus ein Digitalisierungsbeschleuniger ist. Online-Buchungen zum Beispiel wachsen deutlich schneller als zuvor, worunter Reisebüros zu leiden haben. Auch die Entwicklung zu einem nachhaltigeren Tourismus müsse sich nach der Krise verstärkt fortsetzen. Dazu gehören unter anderem umweltschonende Materialbeschaffung, Prozesse und Abfallentsorgung. Zu der Rolle von Flugverkehr im Tourismus und Möglichkeiten, durch attraktive Bildungs-  und Freizeitangebote ortsnäheren Tourismus zu fördern, gab es eine lebhafte Diskussion.