Generation Corona? Wie die politischen Jugendorganisationen die Jobchancen junger Menschen trotz Krise sichern wollen

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Das gesundheitliche Risiko einer COVID-19-Erkrankung ist für junge Menschen geringer als für ältere Personen, doch ihr Einkommen und ihre beruflichen Chancen leiden stark in dieser Krise. Denn junge Menschen arbeiten häufiger in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und sind deshalb schlechter abgesichert als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Vollzeitstelle. Auf diejenigen, die gerade erst die Schule, eine Ausbildung oder ihr Studium abgeschlossen haben, wartet zudem eine schwierige Arbeitsplatzsuche. Viele zugesagte Ausbildungs- und Praktikumsplätze wurden wegen Corona bereits zurückgezogen. Die Zahl der Neueinstellungen ist gegenüber dem Vorkrisenniveau um 50 Prozent eingebrochen.

Was also kann und sollte die Politik tun, um jungen Menschen durch die Krise zu helfen? Um zu verhindern, dass ein schlechter Berufsstart sich langfristig negativ auswirkt – durch psychische Narben und langfristig geminderte Karrierechancen? Diese Fragen hat das OECD Berlin Centre am 8. Juli 2020 in einem Online-Seminar mit Vertretern politischer Jugendorganisationen diskutiert.

Präsentation:

Sebastian Königs | OECD-Arbeitsmarktökonom

Diskussion:

Kevin Kühnert | Bundesvorsitzender Jusos

Anna Peters | Bundessprecherin Grüne Jugend Deutschland

Pascal Reddig | stellvertretender Bundesvorsitzender Junge Union

Tobias Reder | Bundesgeschäftsführer Grüne Jugend Österreich

Ria Schröder | Bundesvorsitzende Junge Liberale

Maximilian Schulz | Bundessprecher Linksjugend 

Moderation:

„Junge Leute sind häufig die Verlierer in der Krise“, so Sebastian Königs mit Blick auf den von der Covid-19-Pandemie gezeichneten Arbeitsmarkt. Aktuelle Zahlen aus dem neuen OECD-Beschäftigungsausblick 2020 zeigen, dass die Krise die positive Entwicklung der letzten zehn Jahre auf dem Arbeitsmarkt binnen kürzester Zeit zunichte gemacht hat. Der starke Rückgang der Neueinstellungen trifft besonders die Berufsanfänger, so Königs. Junge Menschen arbeiten außerdem überdurchschnittlich häufig dort, wo Corona zu Geschäftseinbrüchen geführt hat, etwa im Tourismus und der Gastronomie. Und sie haben weit häufiger als andere Bevölkerungsgruppen nur befristete Verträge oder arbeiten in Teilzeit und haben deshalb auch schlechteren Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen.

Kurzarbeit ist in einer Übergangsphase sinnvoll, um Arbeitsverhältnisse aufrechtzuerhalten, die nach der Krise Bestand haben können. Doch sollte die Politik nicht versuchen, damit den Strukturwandel etwa durch Digitalisierung aufzuhalten, den die Krise beschleunigt hat. Stattdessen bräuchten die betroffenen Beschäftigten Hilfe, um durch Weiterqualifizierung, Beschäftigungsförderung und Weitervermittlung neue Chance wahrnehmen zu können. Solange Einschränkungen für wirtschaftliche Aktivität fortbestehen, müsse die Politik gezielte Einkommensunterstützung anbieten und die Mittel für die Beschäftigungsförderung erhöhen.

Langfristig sei zudem wichtig, dass die Politik Regelungen für diejenigen finde, die derzeit durchs Netz fallen – etwa atypisch Beschäftigte, inklusive Solo-Selbständige, die in der Krise ohne Aufträge bleiben.

Die Folien der Präsentation von Sebastian Königs:

Tobias Reder von der Grünen Jugend in Österreich beschrieb die Gefahr, dass junge Menschen ohne Zukunftsperspektive in eine „Spirale der Arbeitslosigkeit“ geraten. Denn Arbeitslosigkeit führe häufig zu schweren psychischen Belastungen, die dann wiederum den Einstieg ins Berufsleben gefährden. Es sei deshalb wichtig, die psychosozialen Unterstützungssysteme auszubauen. Junge Menschen bräuchten zudem eine Ausbildungsgarantie und bessere Aufstiegsmöglichkeiten. Bisher sei die Durchlässigkeit zwischen Berufen mit mittlerem und höherem Qualifikationsniveau noch nicht ausreichend.  

Anna Peters von der Grünen Jugend Deutschland sprach sich ebenfalls für eine Ausbildungsgarantie aus und dafür, notleidende Betriebe finanziell zu unterstützen, damit sie Ausbildungen anbieten können. Die politischen Jugendorganisationen haben sich in einer gemeinsamen Initiative dafür stark gemacht, in der Krise die Berufsausbildungshilfe in Notfällen an den Bafög-Höchstsatz anzupassen und Bafög für alle zu öffnen, die ihren Job verloren haben. Die Grüne Jugend fordert darüber hinaus, den Bafögsatz zu erhöhen.

Kevin Kühnert von den Jusos lobte den geplanten Schutzschirm für Lehrstellen. Gleichzeitig appellierte er an die Verantwortung großer Unternehmen. Es sei alarmierend, wie viele von ihnen gar nicht, wenig oder nur für den eigenen Bedarf ausbildeten. „Dazu gehören etwa zwei Drittel der DAX-Unternehmen“, so Kühnert. Mit Blick auf die Qualität der dualen Ausbildung in Deutschland sagte er, das System sei zwar im internationalen Vergleich gut, aber dennoch verbesserungsfähig. Es gebe – wie zuvor von Tobias Reder für Österreich beschrieben – zu wenige Aufstiegsmöglichkeiten und zu viele befristete Arbeitsverträge. Für junge Menschen sei es heute normal, sich auf befristete Beschäftigungsverhältnisse einlassen zu müssen. Ein Gefühl von Jobsicherheit, wie es frühere Generationen kannten, hätten sie nicht. Auch gebe es heute ganz neue Arbeitsformen, die weder einem Angestelltenverhältnis noch einer Selbständigkeit entsprechen. Das betreffe immer mehr Menschen, so Kühnert, und es sei überfällig, ihnen einen klaren Status zu geben und sie arbeitsrechtlich abzusichern. 

Ria Schröder von den Jungen Liberalen betonte, dass nationale Maßnahmen wichtig seien, um die Wirtschaft und damit auch Beschäftigungschancen zu beleben – darunter Steuersenkungen, Bürokratieabbau und eine bessere digitale Infrastruktur. Man müsse aber auch über die Landesgrenzen hinausschauen. Es gelte, die Wirtschaft in Europa insgesamt anzukurbeln und es leichter zu machen, in anderen europäischen Ländern Jobs zu finden – etwa, indem man die bestehenden European Employment Services zu einer echten europäischen Arbeitsplattform weiterentwickelt. So könne man etwas gegen die Beschäftigungskrise tun und „hätte gleichzeitig den positiven Nebeneffekt, den europäischen Zusammenhalt zu stärken“. Darüber hinaus sei es wichtig, Jugendliche stärker als bisher in ihrer Kreativität zu fördern und mehr über Berufsprofile jenseits von Angestelltenverhältnissen zu sprechen. „Vielleicht wird jemand, der heute arbeitslos ist, morgen Unternehmensgründer“, so Schröder. Man solle nicht pauschal Selbständigkeit oder atypische Verhältnisse schlechter bewerten als den klassischen Angestelltenstatus, sondern sie vielmehr durch rechtliche Absicherung und zielgenaue Unterstützungsmaßnahmen attraktiver machen.

Maximilian Schulz von der Linksjugend forderte die Politik ebenfalls auf, für mehr Durchlässigkeit der Systeme zu sorgen. Dazu gehöre unter anderem, dass Qualifikationen besser anerkannt werden und Menschen sich leichter weiterqualifizieren können. Weiterbildung dürfe für Arbeitnehmer nicht zum Risiko werden. Deswegen gefällt ihm der Vorschlag der IG Metall für ein Transformationskurzarbeitergeld, das Beschäftigten erlauben würde, sich ohne Aufgabe ihres Jobs auf neue Tätigkeiten innerhalb ihres Betriebs vorzubereiten. Arbeitsmobilität innerhalb Europas hat seiner Ansicht nach auch Schattenseiten: „Wir haben bereits eine hohe europäische Mobilität, aber die findet insbesondere bei Tönnies und in der Pflege statt.“ Arbeitsmigration solle Chancen eröffnen und nicht zu neuen prekären Beschäftigungsverhältnissen führen. Hier sei die Politik gefragt. Die aktuelle Krise und der Strukturwandel sind Schulz zufolge eine Gelegenheit, auch ganz neue Wege zu diskutieren, um Arbeitsplätze zu sichern, etwa durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, wie sie Portugal in der Krise für seine Staatsbediensteten eingeführt hat.

Pascal Reddig von der Jungen Union zeigte sich zuversichtlich, dass die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in der Krise Wirkung zeigt und damit im Ergebnis jungen Leuten viele Chancen eröffnen könnte. Es gehe aber auch darum, Berufe attraktiver zu machen, die sich insbesondere in der Krise für das Funktionieren der Gesellschaft als unverzichtbar erwiesen hätten. Es reiche nicht, Erzieherinnen und Erzieher, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger vom Balkon aus zu beklatschen. Die Politik müsse auch für gute Arbeitsbedingungen und angemessene Entlohnung sorgen. Sonst würden die vielen jungen Menschen, die sich grundsätzlich für diese Berufe interessieren, sie nicht ergreifen.

Diese Ansicht teilten auch die anderen Teilnehmer. Die Krise habe gezeigt, dass bestimmte berufliche und gesellschaftliche Gruppen erhöhten Risiken ausgesetzt sind. Dazu gehöre auch, dass Frauen in der Krise überproportional die Doppelbelastung von Job und Kinderbetreuung gestemmt haben, so Anna Peters und Pascal Reddig. Einig waren sich die Teilnehmer*innen außerdem darin, dass das Angebot von Aus- und Weiterbildung ausgebaut und stärker den Trends der Zeit folgen müsse. Teils werde noch für Berufsbilder ohne Zukunft ausgebildet, während andere Kenntnisse – etwa im digitalen Bereich – zu selten vermittelt würden, so Ria Schröder. „Wir können aus der Krise heraus innovativer werden“, so Reddig und nannte als Beispiel neue Mobilitätsformen. „Dann entstehen auch neue Jobs und Ausbildungsplätze.“

Zum Weiterlesen:

OECD-Beschäftigungsausblick 2020: Worker Security and the COVID-19-Crisis. OECD-Studie zu den Auswirkungen der COVID-19-Krise auf Arbeit und Beschäftigung in den OECD-Ländern. (Juli 2020)

Youth and COVID-19 Response and Resilience. OECD-Kurzanalyse zur Rolle junger Menschen in der COVID-19-Krise als Betroffene, Krisenhelfer und Innovatoren. (Juni 2020)