In der Fernunterrichtszeit hat die Bildungspolitik in Deutschland ihren Fokus weitestgehend auf sogenannte Kernfächer wie Mathematik und Deutsch gerichtet. Aber welche Rollen spielen eigentlich soziale und emotionale Kompetenzen wie Einfallsreichtum, Respekt und Teamfähigkeit für den Lernprozess, den Arbeitsmarkt der Zukunft und die Lösung gesellschaftlicher Probleme?
Das war Thema unseres Webinars am 28. Oktober 2021.
Impulsvorträge:
Andreas Schleicher | OECD
C. Katharina Spieß und Martin Bujard | Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Diskussion:
Margaret Rasfeld | Initiative Schule im Aufbruch
Diana Raufelder | Universität Greifswald
Malte Sandner | IAB
Moderation:
Nicola Brandt | OECD Berlin Centre
Kerninhalte der Veranstaltung:
Mit der Studie Beyond Academic Learning hat die OECD zum ersten Mal eine international vergleichende Analyse der sozialen und emotionalen Kompetenzen veröffentlicht. Für die Erhebung wurden rund 3000 zehn- und fünfzehnjährige Schüler:innen aus zehn verschiedenen Städten in Europa, Asien, Nord- und Südamerika befragt. Die Ergebnisse der Studie machen eines deutlich: Das Ziel der Bildungssysteme sollte eine ganzheitliche Entwicklung ihrer Schüler:innen sein. Dazu gehört mehr als die bloße Entwicklung akademischer Fähigkeiten. Wenn das schulische Umfeld unterstützend und weniger strafend ist, dann entwickeln sich soziale und emotionale Fähigkeiten besser.
- Soziale und emotionale Kompetenzen sind wichtige Prädiktoren für gute Schulnoten in verschiedenen Fächern. Es lässt sich beispielsweise ein positiver Zusammenhang zwischen den Eigenschaften Ausdauer, Vertrauen und Neugierde einerseits und besseren Mathematiknoten andererseits feststellen. Negativ verbunden mit Leistungen in Mathematik sind dagegen Kreativität und Kontaktfreudigkeit.
- Die Erhebung deckt Wechselwirkungen zwischen sozioemotionalen Fähigkeiten und den demographischen Merkmalen der Schüler:innen auf. Fünfzehnjährige zeigen, unabhängig von Geschlecht und sozioökonomischem Hintergrund, geringere soziale und emotionale Kompetenzen als Zehnjährige. Mit Ausnahme von Toleranz und Durchsetzungsvermögen tritt dieser Rückgang stärker bei Mädchen als bei Jungen auf.
- Geschlechterspezifische Unterschiede lassen sich bei den Zehnjährigen folgendermaßen feststellen: Mädchen weisen mehr Kompetenzen im Hinblick auf Verantwortungsbewusstsein, Leistungsmotivation, Einfühlungsvermögen, Kooperation und Toleranz auf. Bei den Jungen haben größere Stressresistenz, mehr Optimismus, Durchsetzungsvermögen und Energie. Bei den 15-Jährigen sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede noch deutlicher ausgeprägt.
- Sozioökonomisch begünstigte Schüler:innen weisen in jeder sozioemotionalen Kompetenzkategorie höhere Fähigkeiten auf als ihre benachteiligten Mitschüler:innen. Diese Unterschiede werden jedoch mit zunehmendem Alter, mit Ausnahme von Toleranz und Durchsetzungsvermögen, kleiner. Möglicherweise trägt hier die Schule etwas dazu bei, die Effekte des sozialen Hintergrundes zu mildern.
- Die Studie legte besonderen Fokus auf die Merkmale Kreativität und Neugierde, zwei Fähigkeiten, die in besonderem Zusammenhang mit Innovation und Fortschritt stehen. Tendenziell haben kreative Schüler:innen auch ein hohes Niveau an intellektueller Neugier und Ausdauer. Kreativität nimmt mit zunehmender Anzahl an Schuljahren ab. Grund könnte der geforderte Gehorsam im Schulalltag sein.
- Positive soziale Beziehungen in der Schule hängen durchweg positiv mit sozial-emotionalen Kompetenzen zusammen. Auch wenn sich die Mehrheit der Schüler:innen in der Schule zugehörig fühlt, trifft das auf ein Viertel der Befragten nicht zu. Sie finden nicht leicht Freunde und fühlen sich einsam.
- Ein beträchtlicher Anteil der Zehn- und Fünfzehnjährigen ist mit Mobbingerfahrungen konfrontiert. Die Betroffenen zeigen tendenziell viel geringere soziale und emotionale Fähigkeiten, einschließlich Emotionsregulation und Vertrauen, auf. Dies kann sich auf ihre schulischen Leistungen auswirken, da Vertrauen beispielsweise in einem positiven Zusammenhang mit Mathematiknoten steht.
Martin Bujard stellte darüber hinaus die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Pandemie zu den psychosozialen Belastungen von Eltern, Kindern und Jugendlichen während der Lockdown-Phasen in Deutschland vor. Die Anzahl an 16- bis 19-Jährigen mit depressiven Symptomen ist während des ersten Lockdowns um 15 Prozentpunkte auf 25 Prozent angestiegen. Hochgerechnet entspricht das einer Zunahme von 477.000 Jugendlichen. Dabei lassen sich große Geschlechterunterschiede feststellen. Bei den Mädchen und Frauen haben sich die Symptome im Schnitt verdreifacht, bei den Jungen und Männern verdoppelt. Ein Migrationshintergrund ist hier ein Risikofaktor.
C. Katharina Spieß erklärte, wie sich das Ökosystem Familie während der Pandemie verändert hat. Die Lebenszufriedenheit der Eltern wirkt sich auch auf die sozioemotionalen Fähigkeiten ihrer Kinder aus. Sie ist von 2020 auf 2021 dramatisch gesunken. Die Sorgen der Eltern, vor allem um die Schulbildung und wirtschaftliche Zukunft ihrer Kinder, haben sich erstärkt. Dabei machen sich Mütter deutlich mehr Sorgen als Väter.
Zum Weiterlesen:
Beyond Academic Learning. OECD-Studie (7. September 2021)
Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie. BiB-Studie (2021)
Der Abiturjahrgang 2021 in Zeiten von Corona: Zukunftsssorgen und psychische Belastungen nehmen zu. IAB-Studie (2021)
Kein „Entweder-oder“: Eltern sorgen sich im Lockdown um Bildung und Gesundheit ihrer Kinder. DIW-Studie (2021)